Zum Jahrestag 1. April 1933 erinnern wir an den Tag, als der deutschlandweite "Judenboykott" auch Attendorn erreichte.
Am 1. April 1933, einem Samstag, standen in ganz Deutschland SA-Männer vor Geschäften und Praxen und zeigten Transparente, auf denen stand: "Deutsche! Wehrt euch! Kauft nicht bei Juden! – Die Juden sind unser Unglück! – Meidet jüdische Ärzte! – Geht nicht zu jüdischen Rechtsanwälten". Die meisten Deutschen folgten.
Auch in Attendorn war der Judenboykott angekommen. Die jüdischen Kaufleute Lenneberg, Cohn und Ursell (das Kaufhaus Böheimer ging nach dem Tod von Ari Böheimer bereits im Jahr 1919 in den Besitz von Arthur Voß über) mussten Sachschäden an ihren Kaufhäusern und entwürdigende Plakate an den Schaufenstern über sich ergehen lassen. Doch es gab in unserer Stadt auch bemerkenswerte Zeichen der Solidarität und des zivilen Ungehorsams.
"Deutsche wehrt Euch! Kauft nicht bei Juden!"
In seinem Buch „Jüdisch in Attendorn“ erinnert Hartmut Hosenfeld an den 1. April 1933 in unserer Stadt:
Am Samstag, den 1. April 1933, begann auch in Attendorn die offizielle Zurückdrängung der Juden aus dem öffentlichen Leben, nachdem zuvor die Bevölkerung durch reißerische Aufmacher in den Zeitungen auf die Ablehnung der jüdischen Mitbürger eingestimmt war.
Wie in allen Städten errichteten SA und SS Sperren vor den jüdischen Geschäften und stellten Schilder auf mit der Aufschrift "Deutsche wehrt Euch! Kauft nicht bei Juden! Wer beim Juden kauft, ist ein Volksverräter!“ Betroffen waren in Attendorn die Geschäfte Lenneberg, Cohn und Ursell.
Frau Emma Korreck erinnerte sich: "Hermann Stern hatte beim Friseur M. gesessen, das war, wo heute Gummersbach ist. Da war ihm, als er auf dem Stuhl saß, das Hitlerbild aufgefallen. Da ist er sofort aufgestanden, rausgegangen und hat das Friseurgeschäft nicht mehr betreten.
Vor dem Kaufhaus Lenneberg waren Sperren aufgestellt und SA-und SS-Leute, alles bekannte und eingeschriebene Leute aus der Stadt, riefen: "Wer beim Juden kauft, ist ein Volksverräter! Deutsche kauft nicht bei Juden!"
"Es gab da einige in Attendorn, die da keine Angst hatten..."
Frau Fine Reuber erzählte: "Da standen die vor den Türen der jüdischen Geschäfte und wollten die Leute davon abhalten, dort zu kaufen. Da war die Frau Meyer, die Frau die Frau vom Studienrat Meyer, die kroch unter den Stricken her, die die SA und SS als Sperre hinhielten. Sie kroch darunter her und ging in den Laden, nur um die anderen zu ärgern. Ich weiß nicht, ob sie überhaupt etwas gekauft hat. Das war schon gefährlich und gewagt, so etwas zu tun. Es gab einige in Attendorn, die da keine Angst hatten."
Im "Stürmerkasten" angeprangert
Frau Hedwig Albus, geb. Meyer, die Tochter des o. a. Studienrates Meyer, die damals mit ihren Eltern an der Promenade am Kölner Tor wohnte, erinnert sich an die Vorfälle an den Tagen um den 1. April 1933: "Auf meiner Geburtstagsfeier am 29.03.1933 hörten wir den Lärm eines Aufmarsches. Junge Leute in Marschkolonne trugen Schilder, darauf stand: "Kauft nicht bei Juden!", außerdem riefen sie Schimpfparolen. Meine Mutter wollte am 01.04.1933 bei Lennebergs bezahlen und drängte sich durch die Absperrung der SA-Männer. Der "Erfolg“"war, sie wurde wegen ihres Verhaltens namentlich im "Stürmerkasten“"angeprangert - und das als Frau eines deutschen Staatsbeamten."
Anmerkung Hartmut Hosenfeld: Neben Frau Meyer bewies auch Frau Cronenberg Mut, die im Kaufhaus Karl Ursell (heute Café Harnischmacher, Niederste Straße 5) ebenfalls unter den aufgestellten Hürden hindurchkroch, um das Kaufhaus zu betreten. Diesem Geschehen setzte der Attendorner Künstler Karl-Josef Hoffmann auf der Gedenktafel in der Attendorner Innenstadt (Im Hohl) ein künstlerisches Denkmal:
"Die Aktion verlief ohne Störung!"
Im Heimatteil des Attendorners Volksblattes hieß es: "Der Boykott der jüdischen Geschäfte setzte am Samstag auch in Attendorn planmäßig ein. Von den SA-Leuten wurde die Aktion durchgeführt und überwacht. Plakate mit einem den Boykott begründenden Text wurden vor den Geschäftseingängen angebracht. Die Aktion verlief ohne jede Störung. Der Verkehr in den Straßen war zwar etwas lebhafter als gewöhnlich, doch überzeugte sich das Publikum sehr bald davon, daß kein Grund zu sensationellen Ereignissen vorhanden war. Zu irgendwelchen Zwischenfällen ist es nirgendwo gekommen. Wir wollen hoffen, daß die einmütige Abwehr der ausländischen Greuelpropaganda recht bald den Erfolg zeitigt, daß das Ausland sich besinnt und sich in die innerdeutschen Angelegenheiten nicht weiter einmischt. Eine Beruhigung der Gemüter liegt im Interesse der deutschen Wirtschaft und der von ihr abhängigen Existenzen."
In der Nacht vom Sonntag, den 2. April 1933, auf Montag, den 3. April 1933, wurde am Kaufhaus R. Lenneberg eine Schaufensterscheibe zertrümmert. Am Montag erschienen die beiden folgenden Notizen im Attendorner Volksblatt:
In der Zeitungsmeldung wird deutlich darauf hingewiesen, dass der angerichtete Schaden nicht die jüdischen Besitzer trifft und das Interesse nicht der Sicherung oder Erhaltung jüdischen Besitzes gilt, sondern der Abwendung von Schäden am deutschen Volksvermögen.
Die Wasserstraße heute
Dort, wo heute die Rossmann-Filiale ihren Sitz hat (Wasserstraße, hier rechts im Bild), befand sich im Jahr 1933 das große jüdische Kaufhaus Lenneberg. Direkt gegenüber (links im Bild), war der Sitz des Kaufhauses Cohn. Die beiden Ladenbesitzer Edmund Cohn (Cohn) und Hermann Stern (Lenneberg) mussten während des "Judenboykotts" am 1. April 1933 ebenso wie der Kaufmann Karl Ursell (Niederste Straße 5, heute Café Harnischmacher) Sachschäden an ihren Kaufhäusern und entwürdigende Plakate an den Schaufenstern über sich ergehen lassen.